22. Januar 2024
Heute: Die Schneepfe. Tussi clamottis.
Der Winter ist usselich, der Schnee pappig und das Eis in der dritten Schicht unter der Matschepampe glitschig wie Crisco im Darkroom. Also Grund genug, schön daheim im Nestchen zu bleiben, dem Kamin beim Flackern zuzuschauen und den Winter einen guten Schneemann sein zu lassen.
Oder, wenn es denn sein muss, mindestens drei Lagen Zwiebelschale drübergerollt, in die Mondstiefel gestiegen, Ohrenklappenoberkappe auf den Schädel, und dann nur den nötigsten Weg, zum Beispiel frische Brötchen holen behufs der Bekämpfung des Neujahrskaters.
So macht sich der durchschnittliche Vogel freund auf den Weg in die subarktische Wildnis, wohldurchdacht und mit sorgfältig berechneter Chance auf unversehrte Wiederkehr.
Und was hat das alles mit Vögeln zu tun?
„Sehr viel!“ schießt uns der Gedanke durchs Hirn, während wir uns mit einem beherzten Satz hinter den Straßenrandschneewall retten vor einer mit Sommerreifen dahinschlitternden Ford Ka-Nistkugel mit Drittlackierung in zartem Pink. Wir hören noch zwei Takte von „La Isla Bonita“ aus schlechten Lautsprechern, bevor uns die abgerutschte Schnee-Dachlast der rollenden Nistkugel kalt erwischt.
Der Ornithologe in uns hat natürlich längst auf höchste Alarmstufe geschaltet, hat er doch, kurz bevor ihn die Schneelawine verschüttete, hinter den angelaufenen Scheiben der Nistkugel noch ganz deutlich einen Stummelflügel mit Handy am Ohr erblickt.
Eine Schneepfe!
Eines jener seltenen Exemplare jener Vogelart, die zwar im Winter hierbleibt, aber nicht aufgrund evolutionärer Winkelzüge, sondern weil sie einfach andere Prioritäten setzt, wie z. B. effektiv nichts zu schnallen, dabei aber – zumindest nach eigener Auffassung – immer super auszusehen.
Und da öffnet sich schon die Nistkugel, kurz nachdem sie mitten auf der Straße irgendwie, aber doch genau vor der Bäckerei, zum Stehen gekommen ist. Heraus schieben sich zwei Füßchen in Schlangenlederimitat-Stiefeletten, profillos wie ihre Trägerin, aber mit Absätzen der Kategorie fünfzehn plus. Gefolgt von zwei Beinen in gemusterten Leggings, den Bürzel verhüllt von einem H&M Daunenjäckchen, aprikotfarbene Lippen und der von braun nach blond changierende Kopfputz zusammengehalten von einem Fleece-Stirnband mit Ohrenschützer-Puscheln drüber.
Und das Prachtexemplar der Schneepfe stöckelt über Eis und Glitsch, bis es sich nicht mehr an der Autotür festhalten kann!
Legendär dann der Bruch im Absatz, das H&M-Jäckchen in der Matschepampe und der Balzruf der Schneepfe durch das immer noch ans Ohr gehaltene Handy: „Schatz, du mir ist da was gaaanz schlimmes passiert, Kannste mich abholen? – Wie, der Spoiler geht zu tief runter?“
Aber da kommt schon die Bäckereiverkäuferin mit dem Vogelfutter: „Ein Mehrkorn und ein Schokokrosang light, das nimmt die jeden Tach. Isses recht so?“
Und wir Hobbyornithologen freuen uns still über die seltene Begegnung, hat uns der Winter doch wieder eine alle Vorurteile bestätigende Erkenntnis frei Haus geliefert:
Die Schneepfen sterben nicht aus. Die Dummheit auch nicht.
Beteiligt:
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