Vogel der Woche: #030 - Die Schneepfe

22. Januar 2024

Heute: Die Schneepfe. Tussi clamottis.

Der Winter ist usselich, der Schnee pappig und das Eis in der dritten Schicht unter der Matschepampe glitschig wie Crisco im Darkroom. Also Grund genug, schön da­heim im Nestchen zu bleiben, dem Kamin beim Flackern zuzuschauen und den Win­ter einen guten Schneemann sein zu las­sen.

Oder, wenn es denn sein muss, mindestens drei Lagen Zwiebelschale drübergerollt, in die Mondstiefel gestiegen, Ohrenklappen­oberkappe auf den Schädel, und dann nur den nötigsten Weg, zum Beispiel frische Brötchen holen behufs der Bekämpfung des Neujahrskaters.

So macht sich der durchschnittliche Vogel­ freund auf den Weg in die subarktische Wildnis, wohldurchdacht und mit sorgfältig berechneter Chance auf unversehrte Wie­derkehr.

Und was hat das alles mit Vögeln zu tun?

„Sehr viel!“ schießt uns der Gedanke durchs Hirn, während wir uns mit einem be­herzten Satz hinter den Straßenrand­schneewall retten vor einer mit Sommer­reifen dahinschlitternden Ford Ka­-Nistkugel mit Drittlackierung in zartem Pink. Wir hö­ren noch zwei Takte von „La Isla Bonita“ aus schlechten Lautsprechern, bevor uns die abgerutschte Schnee-­Dachlast der rol­lenden Nistkugel kalt erwischt.

Der Ornithologe in uns hat natürlich längst auf höchste Alarmstufe geschaltet, hat er doch, kurz bevor ihn die Schneelawine ver­schüttete, hinter den angelaufenen Schei­ben der Nistkugel noch ganz deutlich einen Stummelflügel mit Handy am Ohr erblickt.

Eine Schneepfe!

Eines jener seltenen Exemplare jener Vogelart, die zwar im Winter hierbleibt, aber nicht aufgrund evolutionärer Winkelzüge, sondern weil sie einfach andere Prioritäten setzt, wie z. B. effektiv nichts zu schnallen, dabei aber – zumindest nach eigener Auffassung – immer super auszusehen.

Und da öffnet sich schon die Nistkugel, kurz nachdem sie mitten auf der Straße irgend­wie, aber doch genau vor der Bäckerei, zum Stehen gekommen ist. Heraus schieben sich zwei Füßchen in Schlangen­lederimitat­-Stiefeletten, profillos wie ihre Trägerin, aber mit Absätzen der Kategorie fünfzehn plus. Gefolgt von zwei Beinen in gemusterten Leggings, den Bürzel verhüllt von einem H&M Daunenjäckchen, aprikotfarbene Lippen und der von braun nach blond changierende Kopfputz zusammen­gehalten von einem Fleece­-Stirnband mit Ohrenschützer­-Puscheln drüber.

Und das Prachtexemplar der Schneepfe stöckelt über Eis und Glitsch, bis es sich nicht mehr an der Autotür festhalten kann!

Legendär dann der Bruch im Absatz, das H&M­-Jäckchen in der Matschepampe und der Balzruf der Schneepfe durch das immer noch ans Ohr gehaltene Handy: „Schatz, du mir ist da was gaaanz schlimmes passiert, Kannste mich abholen? – Wie, der Spoiler geht zu tief runter?“

Aber da kommt schon die Bäckereiver­käuferin mit dem Vogelfutter: „Ein Mehrkorn und ein Schokokrosang light, das nimmt die jeden Tach. Isses recht so?“

Und wir Hobbyornithologen freuen uns still über die seltene Begegnung, hat uns der Winter doch wieder eine alle Vorurteile bestätigende Erkenntnis frei Haus geliefert:

Die Schneepfen sterben nicht aus. Die Dummheit auch nicht.


Beteiligt:

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Raspelii
Text, Sprecher

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