Vogel der Woche

Die Welt aus ornithomanischer Sicht!

Die Welt ist lustig, insbesondere aus Sicht der Vogelkundler. HikE schreibt seit vielen Jahren den „Vogel der Woche“. Angefangen hat die Serie im Morgenmagazin von Radio Unerhört Marburg, fortgesetzt wurde sie im Podcast Quatschbrötchen.

Vogel der Woche: #113 - Komischer Kauz

25. August 2025

Komischer Kauz. Strix dramaticus abel.

Der Komische Kauz gibt überall seinen Senf dazu, und es wird ihm verziehen, belächelt, für das gehalten, was „so ein richtiges Original“ originell macht. Er ist definitiv der adoptierte Liebling und der mit Eigeninteressen überfrachtete Symbolträger, also das Maskottchen. Frei nach dem Motto: „kannst du es nicht deiner eigenen Jämmerlichkeit anpassen und auf dein Niveau runterziehen, dann adoptiere es oder mach es zum sakrosankten Dorfnarren“.

Den Komischen Kauz hat man nicht angepasst bekommen, er ist renitent, oder wie das heute in der Traumaforschung heißt, „resilient“.

Alles was der Komische Kauz von sich gibt, wird lautstark bewundert und befeiert, aber in der ritualisierten Form, die eine inhaltliche Auseinandersetzung vermeidet. So passt der Komische Kauz nahtlos als Kuscheltier und Maskottchen in eine Gesellschaft, der die gelebte Komik schon lange vergangen ist.


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HikE Worth
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Vogel der Woche: #112 - Der Dumpfrohrsänger

18. August 2025

Der Dumpfrohrsänger. Acrocephalus mumblens.

Im Gegensatz zu den anderen Rohrsängern bringt der Dumpfrohrsänger seine Sounds nicht klar und kristallin aus dem Hals raus, sondern er brümmelt eigentümlich vor sich hin und klingt dabei fast wie eine Mini-Taube. Das ist ganz erstaunlich, weil die Fachwelt von kleinen Vögeln aus Gründen der Weit-Hörbarkeit irgendwie hohe, hallende Töne erwartet, welche es sogar noch schaffen, im Gedonner der Niagarafälle hörbar zu sein.

Dem Dumpfrohrsänger ist das scheinbar vollkommen wumpe, sein Gebrumm hört man wirklich nur wenn man quasi in ihm drin steht.

Dumpfrohrsänger sind gar nicht mal so selten, obwohl sie scheinbar nicht besonders viel tun, um akustisch konkurrenzfähig und revierverteidigend zu sein. Sie kommen in den gleichen Biotopen wie andere Rohrsänger vor, brüten erfolgreich und verklappen eine ganz erstaunliche Menge Insekten und anderes Kleinzeug in die Schnäbel ihrer Kinder, welche in Napfnestern zwischen ein paar Schilfstengeln aufgehängt sind, die, wenn man man näher drüber nachdenkt, irgendwie wie ein Suspensorium aussehen ((Aber so nah will man eigentlich auch gar nicht nachdenken.)).

Eine Theorie der forschenden Zunft lautet, dass der Gesang des Dumpfrohrsängers überhaupt nicht der Reviermarkierung dient, sondern der unmittelbaren Infraschall-Bedröhnung des Weibchens bis zur dessen Begattungsbereitschaft, analog dem Gesang von Roger Whittaker, dem Don-Kosaken-Chor, dem Eulenpapagei und anderen Tiefton-Barden. Dabei ist auch – ebenfalls analog zu den genannten Beispielen aus dem menschlichen Behumsungsszenario – vollkommen egal, was der Dumpfrohrsänger inhaltlich von sich gibt, hauptsache es brummt geil.


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HikE Worth
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Vogel der Woche: #111 - Der Möhrenträger

11. August 2025

Heute: Der Möhrenträger. Haematopus daucoleus.

Der Möhrenträger, ein Verwandter des Austernfischers, hat seinen ganz eigenen Reiz. Er stochert mit einem Gerät im Watt herum, von dem einige behaupten, es sei ein Schnabel, andere halten es für die am festesten an einem Vogel angewachsene Möhre der Welt.

Interessant ist es zu beobachten, wenn ein Möhrenträger bei der Watt-­Durchstoche­rung einnickt, was häufiger vorkommt. Wenn er nämlich aus dem Reich der Träume wieder hochschreckt, ist es für ihn sehr oft ein hartes Stück Arbeit, seinen schnell festwurzelnden Schnabel wieder aus dem Boden zu ziehen.

Ein Möhrenträger, der in einem anderen Biotop als dem Watt auf diese Art von Futtersuche gehen würde, wäre ziemlich schnell verloren; er würde es nicht schaffen, schnell genug den Schnabel aus der Erde zu ziehen.

Tatsächlich hat man einige interessante Entdeckungen ge­macht: Auf Äckern befindliche Möhrenträger lesen ihr Futter ausschließlich von der Ober­fläche ab und wagen es nicht, einen weitergehenden Kontakt zur Erde aufzubauen. Sie greifen mit ihrem Schnabel wie mit einer Pinzette kleine Käfer und alles, was oberirdisch herumlebt und durch ihren Hals passt.

Die Spitze ihres Schnabels stoßen sie vorher heftig gegen einen Stein oder Baum, um die feinen Würzelchen abzustoßen,­ die ihnen das präzise Zugreifen sonst unmöglich machen würden.

Im freien Wasser hingegen ernähren sich einige Möhrenträger mit besonders lang und dicht bewachsenen Schnäbeln von Wurzelmundquallen, die sie mit ihrem „Bart“ sehr geschickt käschern.

Ob der Bewuchs des Schnabels was mit genetischer Veranlagung, Alter oder Ge­schlecht zu tun hat, hat noch niemand herausgefunden.


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HikE Worth
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Patte
Sprecherin

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Vogel der Woche: #110 - Die Gurkenschlange

4. August 2025

Die Gurkenschlange. Serpina cucumera.

Die Gurkenschlange sieht aus wie eine Schlangengurke und bewegt sich auch bei Tageslicht wie eine solche, nämlich gar nicht.

Oft liegt sie auf Wochenmärkten in den Kisten der Gemüsehändler, und fällt zwischen den anderen Gurken nicht auf. Sie wird dann von Menschen gekauft und mit nach Hause genommen, mit dem festen Vorsatz, dass es mal wieder einen lecker Gurkensalat … nun, noch kein Mensch hat eine Gurkenschlange bisher gegessen, weil das mit dem lecker Gurkensalat, das ist immer so ein Vorsatz der Sorte: Gurke kaufen, dann wird das schon was … die Lust auf Gurkensalat entfleucht in dem Augenblick aus dem Gehirn, wo die Gurke ins Gemüsefach des Kühlschranks geparkt wird.

Da landet also nun auch unsere Gurkenschlange und liegt erstmal in der dunklen Kälte. Sie ist nachtaktiv, also wird sie munter und erkundet das Gemüsefach nach Beute. Sie schafft es sogar, sich aus dem Fach heraus in den oberen Teil des Kühlschranks zu schlängeln, wo sie bald einen Happen von der Butter nimmt, ein bisschen Knoblauchquark und Aufschnitt findet, um letztlich ein vergnügtes Tauchbad in einer offenen Dose Erbsensuppe zu nehmen.

Wenn die Gurkenschlange sich sattgefressen hat, wartet sie einfach darauf, dass der Kühlschrank wieder geöffnet wird, irgendwer angewidert kreischt, sie mit einem Küchentuch ergreift und in den Bioabfall wirft. Schlangen haben halt keine Hände, mit denen sie sich die überschüssige Erbsensuppe nach dem Essen abwischen könnten.

Und dann geht das Spielchen von vorne los, bis zum nächsten Wochenmarkt, an dem der Anblick von Gurken den Vorsatz weckt, einen lecker Gurkensalat …


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HikE Worth
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Vogel der Woche: #109 - Dreizähnemöwe

28. Juli 2025

Dreizähnemöwe. Rissa tridentila ROHREIT, 1992.

Die Dreizehenmöwe (Rissa tridactyla) hat an den Felsküsten von Helgoland nicht we­nig Unbill zu erleiden. Die Ornithologen warnen schon seit Jahren, dass die größere Silbermöwe (Larus argentatus) ihr den Nist­raum streitig macht und sie dadurch von der Insel verdrängt. Als besonders dreist erweist sich hier die Quecksilbermöwe (Larus hydrargyrum), die nestplatz­vertei­digende Dreizehenmöwen einfach platttritt.

Erfolgreicher in der Verteidigung ihres Brut­platzes ist die Dreizähnemöwe, eine der Dreizehenmöwe nah verwandte Art. Ihr Schnabel besitzt an der Spitze, einer anato­mischen Pinzette gleich, oben zwei und unten einen Hornzahn. Wenn diese Möwe erst einmal zugebissen hat, lässt sie nicht wieder los. Dieses verschafft ihr nicht nur ungeahnte Vorteile beim Fischfang, son­dern auch bei der Behauptung gegenüber Widersachern.

Andere Möwen legen sich meist nur ein ein­ziges Mal in ihrem Leben mit der äußerst aggressiven Dreizähnemöwe an, wie lang­jährige Markierungs­-Versuche 1)  (ohne auch nur einen einzigen Vogel fangen zu müssen!) auf Island gezeigt haben. Wenn ihre Wunden endlich verheilt sind, meiden sie Dreizähnemöwen weiträumig. Wie sie es schaffen, die Dreizähnemöwe von der völlig identisch aussehenden Dreizehen­möwe zu unterscheiden, war den Forschern 2) zunächst noch ein Rätsel. Dann wurde jedoch festgestellt, dass vorgeschädigte (individuell markierte), d. h. bereits einmal mit Dreizähnemöwen in Kontakt geratene Silbermöwen auch besonders aggressive Exemplare der Dreizehenmöwe mieden.

Der Erkennungsfaktor „Aggressivität“ in Verbindung mit „dreizehenmöwigem“ Aus­sehen macht offenbar die „Schutzwirkung“ aus. Auf diese Weise profitieren Dreizehen­möwen von der Anwesenheit ihrer besser bewaffneten Schwesterart. Für die Drei­zehenmöwen­-Brutkolonien Helgolands be­steht also Hoffnung, wenn die Dreizähne­möwenpopulation groß genug ist, um die Silbermöwen in Angst und Schrecken zu halten. Aus diesem Grund sprachen sich kürzlich alle Vogel-­ und Naturschutz­-Orga­nisationen gegen eine Bejagung der Dreizähnemöwe aus und antworteten damit geschlossen auf die Abschussforderung von Seiten der ortsansässigen Jagdpächter, die aus dem Erfolg dieser Art gegenüber Silbermöwen auch auf eine potentielle Gefährdung des Homo sapiens (Rote Liste Stufe 4) schließen.

Literatur:

1) LIMIKOLOW, Atrimov (1992): Individualmarkierung von Möwen durch Dreizähnemöwen Rissa tridentila und Auswertung der Wiederbegegnungsszenen; Wild d. Bissenschaft 14

2) BROESELL, Pernod (1989): Le division de la Moeve du Tri­-Dentale et la Moeve du Phalanga­-Reduciale; Fachsimpliale et Confusionale Bd. 3


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HikE Worth
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CoRo
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Vogel der Woche: #108 - Heißstorch & Laufrosch

21. Juli 2025

Heute: Heißstorch & Laufrosch. Ciconia therma & Hyla therma.

Störche essen Frösche. Das ist eine Wahrheit, wie sie nur in den Heiligen Binsen stehen kann, sozusagen eternal Truthness vom Feinsten.

Auf den ersten Blick reicht diese Information, sobald mensch einen Frosch und einen Storch gemeinsam erblickt.

Aber Vorsicht, falls es sich bei dem erblickten Tierduo um einen Heißstorch und um einen Laufrosch handelt. Dann sind die Heiligen Binsen keinen Pfifferling mehr wert, alle Information geht in die Binsen.

Der Laufrosch ist ein grünes Tier von Frosch-Habitus, und zwar der eher niedlichen Sorte. Also nicht so ein überbordendes Monstrum wie der Ochsenfrosch, sondern zierlich und dekorativ-sympathieträgerisch und dabei von einiger Kleinheit – absolut unbedrohlich.

Der Heißstorch verzeichnet ebenfalls Pluspunkte auf der Skala der sympathisch ‚rüberkommenden Lebensformen. Mensch erkennt ihn durchaus als einen Storchenvogel, selbst wenn mensch noch nie außerhalb der Kinderverarschungsliteratur („Die Babies bringt der Klapperstorch“) einen lebenden Storch gesehen hat. Schlanke rote Beine, die ihn eindeutig vom Höckerschwan unterscheiden; elegantes Gesamtaussehen, und so weiter.

Zwei Sympathieträger also, von denen nun der eine – Storch – den andern – Frosch – beim ersten Blickkontakt runterzuschlucken hat, wenn es nach Sankt Binse geht.

Was stattdessen passiert:

Der Heißstorch zieht beim Anblick des Frosches einen Siedetaucher aus seinem Gefieder und hängt ihn in das Wasser des Teichs, in dem der Frosch sich befindet. Denn er mag sein Essen grundsätzlich nur heiß serviert.

Der arme Siedetaucher muss sich wirklich anstrengen, denn der Teich ist keine Teetasse, sondern eher ein Kubikmeter – also tausend Liter – Wasser. Er schafft das Unmögliche – er erwärmt das Teichwasser auf Temperaturen knapp über 20 °C, bevor er abtauchen und dringend was essen muss.

Der Laufrosch hat sich mittlerweile eine kleine Binsenmatratze geflochten und einen Binsensonnenschirm dazu, und streckt sich ganz entspannt mit einem kleinen Binsenbier und einem Pfifferling der Sorte Dröhn auf jenem Floße aus, schaut dem Heißstorch dabei zu, wie dieser darauf wartet, dass das Wasser zu kochen beginnt.

Nachdem der Siedetaucher sich satt gefressen hat und wieder auftaucht, muss er dringend schlafen und vermeldet das auch seinem Storch. Dieser steckt ihn daraufhin wieder in sein Gefieder und wartet weiter darauf, dass das Wasser zu kochen beginnt. (An keiner Stelle wurde gesagt, dass der Heißstorch Zusammenhänge begreift.)

Der Laufrosch hüpft von seinem Floß zurück ins Wasser, sobald sich das wieder auf 19 Grad abgekühlt hat, und das war’s im Groben.

Diese Situation wiederholt sich jedesmal, sobald die beiden Tiere aufeinandertreffen.

Nur im Hochsommer könnte es dem Heißstorch hypothetisch gelingen, einen Laufrosch zu kochen, aber auch das wird nix, weil der Laufrosch sich ab dem Moment, wo das Teichwasser dauerhaft über 20 °C aufheizt, an Land begibt. Er verbarrikadiert sich bis zur nächsten Saison in einem Campingwagen voller leckerer Mücken, während die zum Wagen gehörigen Camper den hungrigen Heißstorch – die Attraktion des Campingplatzes, übrigens – an ihrem Erbseneintopf mitmampfen lassen.


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HikE Worth
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Vogel der Woche: #107 - Grappapapagei

14. Juli 2025

Grappapapagei

(Psittacus grappi R. SCHNEIDER, 1993)

Der Grappapapagei wurde erstmals auf Giglio beobachtet, wo er sich einem netten Herren in schwarzer Badehose auf die nackte Schulter setzte und das Ohr neben seinem Sitzplatz vom Abend des 22. September bis zum Morgen des 4. Oktober 1993 unbeirrt zulaberte. Er unterbrach seinen Vortrag nur, wenn ein gewisses alkoholisches Getränk gereicht wurde, und auch nur für den Zeitraum, den er benötigte, dieses Getränk zu ingestieren. Am späten Vormittag des 4. Oktober flog der Vogel weg und ward nicht mehr gesehn.


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HikE Worth
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Gregor Börner
Sprecher

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Vogel der Woche: #106 - Das Sommergoldhähchen

7. Juli 2025

Heute: Das Sommergoldhähchen. Regulus numbus.

Er war in einem Alter, wo es hieß:
die Goldhähnchen. Wo sind die denn?
(H. W. Bohle über Schwerhörigkeit bei Ornithologen)

 

Das Sommergoldhähchen ist ein sehr kleiner Vogel mit einer sehr hohen Stimme, und das ist hochproblematisch: es kann sich selbst und seine Artgenossen nämlich nicht hören, weil es für hohe Frequenzen taub ist. Reviergesänge prallen am ihm also ebenso ab wie gesungene Balzaufforderungen; erst in direktem Augenkontakt nimmt es an den hektischen Schnabelbewegungen wahr, dass sein Gegenüber ihm was mitzuteilen wünscht.

Da es allerdings auch nicht Schnabellesen gelernt hat, läuft seine Antwort regelmäßig auf ein „HÄÄH?!?“ hinaus. Selbstverständlich – denn das Sommergoldhähchen ist ja ein sehr kleiner Vogel mit einer sehr hohen Stimme – in einer so hohen Stimmlage, dass sein Artgenosse gegenüber – der ja auch ein Sommergoldhähchen ist – das ebenfalls nicht hören kann.

Und so „HÄÄH?!?“-en sich die Sommergoldhähchen den ganzen Sommer hindurch gegenseitig an, und der lauschende Naturfreund wünscht sich gelegentlich, ebenfalls ein bisschen taub zu sein.


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HikE Worth
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Vogel der Woche: #105 - Gegenpfeifer

30. Juni 2025

Der Gegenpfeifer. Charadrius contra.

Interviewt mensch einen kleinen Vogel am Wattenmeer, und fragt, wen oder was der am meisten doof findet, so bekommt mensch für gewöhnlich keine Antwort. Diese Vögelchen haben anderes zu tun, als in Mikrophone zu sprechen. Zwei Möglichkeiten, eine hörbare Reaktion zu erzielen, gibt es jedoch:

Erstens, mensch ist an einen Redenpfeifer geraten. Der beantwortet allerdings die Frage nicht, sondern sülzt Dummzeug, was verdächtig nach Bundestagsgelaber klingt.

Zweitens, der Vogel ist ein Gegenpfeifer. Der beantwortet die Frage allerdings, und zwar so was von, dass einem Menschen der Speicherplatz auf dem Recorder auszugehen droht, denn der Gegenpfeifer ist tatsächlich so ziemlich gegen alles. Und das ist – trotz der Kleinheit des Vogels – eine ziemlich umfängliche Stichwortliste, bei deren Vortrag man sich relativ schnell vorkommt wie in einer Lesung aus dem Telefonbuch einer kleineren Stadt wie, sagenwirmal, Berlin, Spalte Schmidt. Der Gegenpfeifer kann, wie alle Vögel, sowohl beim Ein- wie auch beim Ausatmen reden, so dass es nicht einmal eine Atempause gibt. Einigen Gerüchten zufolge soll der Gegenpfeifer bereits den Tod mehrerer Journalist*innen im Wattenmeer verursacht haben, da er selber problemlos schwimmt und keine Rücksicht auf die Gezeiten nimmt, und Journalist*innen sich für gewöhnlich nicht auf zehnstündige Aufnahmesessions im Schlickwatt eingerichtet haben, beispielsweise indem sie sich vorher ein Schlauchboot umgeschnallt haben.


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HikE Worth
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Vogel der Woche: #104 - Die Brombeerqalle

23. Juni 2025

Heute: Die Brombeerqualle. Morelia aurula.

Die wunderbare Welt der weichen Wassertiere hat mit der Brombeerqualle ein Prachtstück der Evolution abgeliefert. Der dunkel schwärzlichviolette Schirm dieses Hohltiers besteht aus vielen einzelnen Bläschen, die ihm das Aussehen einer gigantischen Brombeere geben. Diese Bläschen lösen sich zu bestimmten Jahreszeiten leicht vom Schirm ab und werden an Stränden angespült, wo sie nicht nur einen Duft nach Brombeeren verbreiten, sondern auch von Einheimischen aufgesammelt und nach der Reinigung von anhaftendem Sand als Brombeerpudding verzehrt werden. Das Auftauchen der „Brombeerpuddings“ erfolgt mit einer so großen Regelmäßigkeit auf eine Nipptide nach der Sommersonnenwende, dass der Termin in örtlichen Kalendern als Feiertag verzeichnet ist.

Von Hohltieren ist bekannt, dass sie Generationswechsel haben, also zum Beispiel ein festsitzender Polyp Medusen abtrennt, die dann als Quallen herumschwimmen und die Sache mit dem Eier legen übernehmen, aus denen wieder Polypen schlüpfen, und so weiter. Dieses Modell des Generationenwechsels gibt es bei den Hohltieren in allen möglichen Kompliziertheitsstufen bis zum simpelsten „ätsch ich bin immer eine Meduse / ätsch ich bin immer ein Polyp“, wo gar kein Wechsel stattfindet.

Die Brombeerqualle hat einen Zacken drauf gelegt und lässt ihren dreifachen Generationswechsel abwechselnd im Wasser und an Land stattfinden. Die Meduse, also die Qualle, legt keine Eier, sondern produziert Brombeeren. Sobald diese von Wirbeltieren wie z.B. einheimischen Menschen verzehrt werden, wächst in deren Innerem ein Polyp heran, der ab Beginn der Badesaison eine Woche lang massenhaft kleine Kerne produziert, die mit den Stoffwechsel-Endprodukten entweder in Kläranlagen landen oder irgendwo hingeschietert werden, zum Beispiel heimlich in die Dünen oder an den Strand. Aus diesen Kernen wachsen Chlorophyll enthaltende, trockenheitstolerante Polypen, die an verschiedenen Pflanzen wie Heidesträuchern oder Strandhafer heraufklettern, sich zu mehreren in die Blütenknospen setzen, die Pflanze anzapfen und in der geenterten Knospe entweder eine gemeinsame Cyste oder ein Ei bilden (das weiß man noch nicht so genau). Jedenfalls sind die „Eier“ dieser Polypen ziemlich groß und aus irgend einem Grunde besonders attraktiv für Möwen, welche sie gezielt aus den Büschen heraus picken und runterschlucken. Bei den Möwen-Flügen landen sie auf üblichem Wege wieder im Meerwasser, und die nächste Brombeerqualle schlüpft.

Die Menschen tragen übrigens keinen Schaden durch den Polypen davon, sie schreiben das leichte Druckgefühl im Bauch und den vermehrten Stuhldrang zu Beginn der Badesaison dem Konsum von zu viel leckerem Eis am Strand zu.


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HikE Worth
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